Die Bedienbarkeit eines Smartphones mit nur einer Hand ist für mich ein sehr wichtiges Kriterium. Schließlich benutzte ich es oft unterwegs und nebenbei, während ich mich z. B. mit der anderen Hand in der Bahn festhalte, den Einkaufswagen vor mir herschiebe oder in Vorlesungen den anderen Arm als Kopfkissen benutze. Für einige Menschen mag dieser Punkt nicht so wichtig sein, weil sie Ihrem Smartphone vielleicht stets mit beiden Händen die volle Aufmerksamkeit widmen wollen oder generell mit dem Daumen nicht sehr flexibel sind. Ich schätze aber mal, dass die Ein-Hand-Bedienung für die Mehrheit der Smartphone Benutzer eine große Rolle spielt.
Vor diesem Hintergrund sind aktuell interessante Entwicklungen zu sehen. Während 2008 das erste Android Smartphone HTC Dream noch bei 3,2 Zoll lag, ist man inzwischen mit dem Samsung Galaxy Note II bei unglaublichen 5,55 Zoll angelangt. Windows Phones waren auf eine Auflösung von 800 x 480 Pixeln beschränkt, so dass die Displaygrößen hier bisher maximal 4,3 Zoll betrug (beim HTC HD7). Allerdings sind ab Windows Phone 8 auch HD Auflösungen erlaubt, weswegen man hier wohl bald mit größeren Displays rechnen darf. Das bisher noch nicht erhältliche Nokia Lumia 920 hat beispielsweise eine Displaygröße von 4,3 Zoll. Nur Apple spielte mit seinen iPhones bisher eine besondere Rolle, denn die Displaydiagonale blieb auch mit der Einführung des Retina Displays seit fünf Jahren unverändert bei 3,5 Zoll. Das geschah aus gutem Grund, schließlich sei diese Bilddiagonale perfekt auf die Reichweite des Daumens ausgelegt, wie dieser bekannte Blogbeitrag vom Designer Dustin Curtis vor einem Jahr anschaulich zeigte. Allerdings weicht Apple nun mit dem neuen iPhones 5 von dieser Taktik ab und bringt ab sofort ein größeres 4 Zoll Display.
Heißt das also, die alten Begründungen mit dem Daumenradius waren falsch? Ich habe mir mal die Mühe gemacht und an meinem Daumen nachgemessen.
Inklusive Mittelhandknochen komme ich auf eine Länge von ca. 11 cm. Bei einer typischen Haltung mit der linken Hand wäre das Daumensattelgelenk ungefähr auf Höhe der linken unteren Ecke des Smartphones. Ohne die Handhaltung verändern zu müssen, wäre der maximale Daumenradius also bei mir 11 cm.
Schauen wir uns nun an, welche Auswirkungen das auf die Bedienung hat. Die Modelle, welche ich hier nicht in Fleisch und Blut liegen habe, habe ich im Laden in die Hand genommen und die Grafik realistisch gegen gecheckt. Als App habe ich Soundhound gewählt, weil sie auf allen Systemen verfügbar und unter Android ein hochauflösender Screenshot angegeben ist.
Fazit
So wie es aussieht, waren die 3,5 Zoll des alten iPhones wirklich perfekt für den Daumen erreichbar. Bei allen Geräten mit größeren Bildschirmen ist vor allem die rechte obere Ecke problematisch. Die linke obere Ecke ist im Vergleich einfacher zu erreichen, ohne die Haltung des Smartphones in der Hand ändern zu müssen.
Problematisch ist nun, dass sich bei iOS und Android die Navigationselemente auf den unteren und oberen Bildschirmbereich verteilen. Während die unteren natürlich kein Problem sind, wird es bei den oberen schwierig. Auch Benachrichtigungen werden in einer Ansicht gesammelt, die sich mit einem Wisch vom oberen Rand ausklappen lässt. Gerade die obere rechte Ecke spielt eine besondere Rolle: Hier befinden sich gerne Buttons zum Erzeugen neuer Inhalte und bei Android standardmäßig ein ausklappbares Menü. Mir ist es ein Rätsel, wie man auf die Idee kommen kann, solch wichtigen Funktionen in der am schwierigsten zu erreichende Ecke zu platzieren. Bei iOS war das alles bisher mit dem kleineren Display kein Problem, mit 4 Zoll sieht das ganze schon anders aus, wenn auch nicht so schlimm wie bei den aktuellen Geräten der Android Oberklasse mit Bildschirmdiagonalen jenseits von 4 Zoll.
Das alternative Bedienkonzept von Windows Phone macht sich hingegen so langsam bezahlt, hier scheint sich wirklich mal jemand Gedanken gemacht zu haben. Die Bedienung konzentriert sich auf die untere Bildschirmhälfte, Buttons sind hauptsächlich in der App Bar am unteren Rand zu finden. Seitliche Wisch-Gesten führen zum nächsten Bildschirm, diese können im Gegensatz zu den Konkurrenzsystem immer auf der gesamten Fläche angewendet werden. Theoretisch wären also Übergrößen wie 5 Zoll hier immer noch gut mit einer Hand bedienbar. Ausnahmen innerhalb der Apps gibt es natürlich auch, da den Entwicklern freigestellt ist, wie sie den Bildschirm nutzen. Beispielsweise befinden sich in der Facebook App ebenfalls Buttons in der oberen rechten Ecke. Sogar die interne Bing-Suche braucht erst einen Touch ins Textfeld am oberen Rand, um die Tastatur auszufahren. Platz für Verbesserungen finden sich also noch.
Die Grafiken von Dustin Curtis halte ich im Übrigen für unrealistisch, da dort der Daumenansatz an einer völlig abwegigen Position liegt, nämlich auf halber Höhe der linken Seite. Auf einen solchen Radius kommt man nur, wenn man das Smartphone in einem Winkel von 45° bis 90° hält und es eventuell sogar mit allen Fingern umschließt.
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