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Grafische und funktionale Konsistenz – am Beispiel der Developer Preview von Windows 8

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Heute möchte ich mich mit einer Anforderung an ein Screendesign beschäftigen, welche ich mal »grafische und funktionale Konsistenz« taufe. Dieser Grundsatz ist mir wieder in den Sinn gekommen, als ich die Windows 8 Developer Preview ausprobiert habe, dieser wird hier nämlich leider stark verletzt.

Ein Benutzerinterface sollte grafisch und funktional konsistent und in sich schlüssig sein. Das heißt einerseits, dass der Benutzer konsequent in allen Bereichen des Systems Funktionen durch ihr Auftreten und Erscheinungsbild schnellstmöglich wiedererkennen können sollte. Andererseits gilt es unterschiedliche Funktionalitäten in ihrem Erscheinungsbild voneinander abzugrenzen und nicht miteinander zu vermischen, so dass der Benutzer sich sicher sein kann, bei einer bestimmten Aktion auch die gewünschte Funktion aufzurufen. Das führt im Idealfall zu einer höheren Sicherheit im Umgang mit dem System und somit einer höheren Produktivität und Zufriedenheit.

Beispiel Fensterbuttons in OS X und Windows

OSX Window Buttons vs Windows

Ein gutes Beispiel für die unterschiedliche Behandlung in den aktuellen Betriebssystemen sind die drei Fensterbuttons, welche gleichermaßen in Windows und OS X am oberen Fensterrand auftauchen. Während unter Windows alle Buttons in unterschiedlichen Programmen dasselbe konsistente Verhalten aufweisen, verhält es sich bei OS X etwas anders. Hier führt ein Klick auf den grünen Zoom-Button, je nachdem in welchem Programm man sich gerade befindet, entweder zu einer Anpassung des Fensters an den Inhalt (wie es eigentlich von Apple vorgesehen war) oder das Fenster wird maximiert. Der rote Schließen-Button schließt entweder das Fenster oder in anderen Fällen das Programm.

Das war nur ein Beispiel von vielen, und natürlich gibt es auch Gegenbeispiele, bei denen Windows das aktuell inkonsistentere Konzept aufweist, wie z. B. die aktuelle Diskrepanz zwischen den unterschiedlichen Menüleisten (Stichwort Ribbons).

Ein Konzept zur Vereinheitlichung unterschiedlicher Plattformen – Beispiel Apple

Wir befinden uns gegenwärtig in einem Wandel, in dem der PC mehr an Bedeutung verliert und stattdessen Smartphones und Tablets den Markt erobern. Die Zukunft ist mobil und zunehmend unabhängiger vom stationären Rechner zuhause. Apple trennt dabei bisher die Macs und MacBooks mit OS X von den »ultraportablen« Geräten (also iPhone, iPod und iPad), auf denen iOS zum Einsatz kommt. Vorteil: Auf die unterschiedlichen Anforderungen, die aus den unterschiedlichen Anwendungsbereichen und Eingabemöglichkeiten entstehen, kann so optimal eingegangen werden. Z. B. gibt es kein direktes Toucherlebnis auf dem Mac, dafür wird hauptsächlich Maus und Tastatur genutzt. Und obwohl es sich um getrennte Betriebssysteme handelt, ist es Apple mit OS X Lion gelungen die User Interfaces so gut es geht zu vereinheitlichen: So existieren beispielsweise auf dem Mac das LaunchPad als Pendant zu den App-Listen unter iOS, ein Mac App Store, ein Vollbildmodus und so banale Dinge wie die Möglichkeit, die Scrollrichtung umzukehren, um auf dem Mac das gleiche Toucherlebnis wie auf den mobilen Geräten zu ermöglichen. Ein Apple Benutzer fühlt sich somit gleich auf allen Plattformen zu Hause.

Hier ein Promo-Video von Apple mit den neuen Features von OS X Lion

Metro vs. Desktop in der Windows 8 Developer Preview

Kommen wir nun also zur neuen Windows 8 Developer Preview:

Das besondere hierbei ist, dass Windows 8 die gleiche Metro UI aufweist, wie sie schon auf Windows Phones eingeführt wurde (im Titelbild des Artikels zu sehen). Der Startbildschirm besteht aus Kacheln, die Apps und zusätzliche Informationen visualisieren. Der traditionelle Desktop wurde dabei zu einer App degradiert und muss extra aufgerufen werden, ansonsten wurde die komplette Bedienung auf Touch ausgelegt.

Ich möchte hier nicht detailliert auf die Neuheiten eingehen, deswegen kann man sich hier gut ein grobes Bild vom Bedienkonzept machen:

https://www.youtube.com/watch?v=p92QfWOw88I
AppleMicrosoft
stationärer RechnerOS XWindows 8
NotebookOS XWindows 8
TabletiOSWindows 8
SmartphoneiOSWindows Phone 8?

Wie es scheint, sieht Microsoft in Tablets auch einen produktiven Anwendungsbereich im Gegensatz zu den eher auf Medienkonsum ausgerichteten iPads, denn auf Tablets soll zukünftig dasselbe Betriebssystem laufen wie auf dem PC und Notebook, nämlich Windows 8. Smartphones dagegen werden nach meiner Einschätzung vorerst weiterhin mit einer Windows Phone-Variante bestückt werden.

Hier liegt meiner Meinung nach allerdings auch der Pferdefuß begraben, denn Touch-Tablet haben ganz andere Anforderungen an die Bedienung als Rechner, die mit Tastatur und Maus bedient werden. Diesen Spagat zu schaffen halte ich für äußert schwierig.

Der Test in einer virtuellen Maschine

Da ich trotzdem finde, dass Microsoft mit Windows Phone 7 ein überaus gelungenes Bedienungskonzept für Touchscreens auf den Markt gebracht hat, habe ich mich natürlich gleich mal daran gemacht und Windows 8 in einer virtuellen Maschine getestet. Mein vorläufiges Fazit:

Die Metro UI von Windows 8 taugt nicht für die Bedienung mit Maus und Tastatur. So schön sie auch ausschaut, ein Arbeiten ist sehr mühsam und zäh im Vergleich zum Desktop. Das liegt zum Beispiel daran, dass mit einer Maus viel präziser gearbeitet werden kann als mit den Fingern auf Touchoberflächen. Die Metro-Kacheln und Schaltflächen sind für die Maus überdimensioniert, die Maus muss einfach viel zu lange Wege zurücklegen, um Funktionen aufrufen zu können (interessant dazu: Fitts´s Law). Weiter ist kein paralleles Arbeiten möglich wie beim Desktop. Um zwischen Anwendungen zu wechseln, muss umständlich über den linken Bildrand durch die offenen Anwendungen geblättert werden, was in meinem Test nicht immer funktionierte. Die Navigation mit dem Mausrad auf dem Startscreen fand ich überhaupt nicht gelungen und mühsam. Insgesamt merkt man stark, dass das Metro Interface vollständig auf Touchbedienung ausgelegt ist und die Mausunterstützung bei der Konzeption keine wirkliche Rolle gespielt hat. Etwas erstaunlich, denn man sollte schließlich meinen, dass die Maus nicht so bald aussterben wird.

Nebenbei ist mir aufgefallen, dass das reduzierte Kacheldesign stellenweise nicht wirklich optimal gestaltet ist. So sollten Buttons beispielsweise stets einen dreidimensionalen Effekt andeuten, um zum Klicken einzuladen. Der Button stellt wie in der realen Welt eine Erhebung dar, die eingedrückt werden kann. Das konsequent zweidimensionale Metro-Design finde ich in dieser Hinsicht weniger benutzerfreundlich und intuitiv. Auch finde ich das Konzept des Kachelbildschirms für einen Arbeitsrechner nicht sehr optimal. Hier würde ich persönlich einen sauberen leeren Desktop zum geordneten Start in den Tag vorziehen, anstatt mich einer Flut von Informationen auszusetzen in Form von bunten Newsticker- und App-Kacheln.

Zwei Benutzeroberflächen = zwei Konzepte

Kommen wir zu meinem Ausgangsbegriff zurück: Microsoft hat mit dem Metro Design ein neues Fass aufgemacht und mit einem alten Fass vermischt (um in der Bildsprache zu bleiben), was ich für sehr schwierig halte. Windows Phone 7 funktioniert als eigenständiges System prächtig, da hier die Regeln der grafischen und funktionalen Konsistenz eingehalten werden. Metro UI und der Standard-Desktop von Windows 7 werden unter Windows 8 allerdings vereint, obwohl sie nichts miteinander zu tun haben. Gewohnheiten lassen sich in keinem Fall übertragen. Die Unterschiede aufzuzählen würde den Artikel sprengen; was die beiden Welten gemeinsam haben sind die Begriffe »Start« und »Internet Explorer« und vielleicht die noch Schrift SegoeUI. Das System wurde an den Anforderungen der PC Benutzer zu Gunsten einer Universaloberfläche vorbeientwickelt und ist nicht mehr konsistent, was für die Akzeptanz auf jeden Fall Folgen haben wird. Wie diese Aussehen werden, darauf bin ich gespannt.

Natürlich darf man hier nicht von einem vollständigen Produkt ausgehen, da der Release von Windows 8 wahrscheinlich erst in einem Jahr stattfinden wird. Allerdings kann man bei den Entwicklungszyklen von Microsoft auch davon ausgehen, dass in der finalen Version keine allzu umfangreichen funktionalen Änderungen mehr Einzug finden. Und verfolgt man die Statements zur neuen Metro UI, entsteht schon der Eindruck, dass Microsoft diese gerne konsequent einführen möchte.

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