Nun ist die Apple WWDC 2015 vorbei und wir haben keine wirklichen Knaller gesehen, dafür aber hier und da kleine feine Verbesserungen. Ich nehme das mal als Anlass, um ein bisschen zu philosophieren.
Exposé
Zuerst aber kurz ein Sprung ins Detail: Ich muss ja sagen, dass ich seit Jahren ein großer Fan vom Mac OS-X Exposé bin, einem Feature, welches ich unter Windows bis Version 8.1 schwer vermisse. Wenn ich ehrlich bin finde ich die Usability perfekt, mir würde keine mögliche Verbesserung dazu einfallen. Umso interessanter, dass Exposé mit dem nun vorgestellten Mac OS-X El Capitan noch eine Stufe weiterentwickelt wurde:
Die meisten Änderungen betreffen Fullscreen Apps: Nun können z. B. zwei Fenster nebeneinander angeordnet werden und die einzelnen Anwendungen recht einfach hin- und herbewegt werden. Das ganze ist sehr harmonisch in Exposé integriert.
Eine minimale Änderung fiel mir noch auf, die nicht explizit erwähnt wurde: Die Dauer der Animation eines Fensters in den Fullscreen Zustand ist mit El Capitan nun anscheinend verkürzt worden. Diese ein zwei Sekunden der bisherigen Animation waren tatsächlich der Grund, warum ich diese Möglichkeit kaum benutzt habe. Schön zu sehen, dass hier nachgebessert wurde.
Inspirationen sind ein offenes Geheimnis
Worauf ich aber eigentlich hinaus wollte: Was die Usability der Betriebssysteme betrifft, sind wir anscheinend in einem Stadium angelangt, an dem sich die Produkte der Konkurrenz demselben Ideal annähern und nur noch wenig bis gar nicht mehr voneinander unterscheiden.
Nehmen wir Exposé als Beispiel: Apple hat es erfunden, Microsoft hat es für Windows 10 weiterentwickelt und mit dem Split View aus Windows 8 kombiniert, Apple hat diese Verbesserungen fünf Monate später wiederum im eigenen Produkt eingebaut. Das Split View, also eine geteilte Ansicht zweier Anwendungen im Vollbildmodus, stammt ursprünglich von Windows 8 und war bisher auf Android und iOS Geräten nicht möglich. Samsung und Sony haben sich hier eine eigene Implementierungen einfallen lassen und mit freifliegenden Fenstern ergänzt. iOS übernimmt nun wiederum diese Form der Darstellung für Tablets.
Es gibt unendlich viele solcher Beispiele: Die Benachrichtigungsleiste unter iOS und Windows Phone (eingeführt von Android), die Icons unter Android (bekannt aus iOS), das Hamburger Menü unter Windows 10 (allgemeines Design Pattern), usw. Dass sich offensichtlich jede der genannten Firmen von der Konkurrenz »inspirieren« lässt, ist ein offenes Geheimnis. Mindestens lächerlich klingen dann aber die Bemühungen das eigene System als das innovativere zu verkaufen und die anderen als Ideendiebe zu diffamieren.
Jetzt ist die Frage: Haben wir mit den existierenden User Interfaces tatsächlich die Perfektion erreicht? Oder nimmt lediglich der Mut zur Innovation ab?
Nope. Haben wir nicht. Das sieht man ja schon alleine daran, wieviel UI- und UX-Kram aus den mobilen Geräten zurück auf die Desktops schwabt. Wenn ich mich nicht irre nutzt Du ja auch ein Touchpad und keine Maus mehr.
Nebenbei: Expose finde ich auch grandios. Nutze ich seit eh und je als aktive Ecke. Dafür verwende ich aber keine getrennt Desktops. Was ich damit sagen will: Ich hab noch keine zwei Mac User kennengelernt, die das gleiche Nutzerverhalten haben. Jeder nutzt – mbMn – sein eigenes Set der UX-Werkzeuge. Insofern möchte ich insbesondere der These widersprechen, dass wir uns einer Perfektion nähern würden.
Ceterum censo: Erst die Kommentare, dann die Relateds!
Hm,… ich würde sagen, dass bei Betriebssystemen eine Sklerose eingesetzt hat: die Benutzungsmuster sind verhärtet, und mutige Schritte wagt kaum noch einer. Häufig wird ja etwas versucht (Win 8 und das iPad UI), um am Ende wieder zurück zu rudern, weil die menschlichen Gewohnheiten so festgefahren sind.
Das moderne QWERTZ Layout von Tastaturen ist ja z.B. in Sachen Performance und Benutzbarkeit alternativen Layouts wie DVORAK weit unterlegen,… nur ist QWERTZ der gewohnte Standard. Das Umgewöhnen wäre teuer und schmerzhaft.
Wie revolutionär müsste in Sachen UI also ein Paradigma sein, damit wir bereit wären, nochmal viel neues zu lernen?
@ben Stimmt, Desktopsysteme kann man immer noch recht individuell anpassen. Das gilt für mobile Systeme leider gar nicht (die Android Custom ROMs lasse ich hier mal außen vor). Hier hat man höchstens noch die Wahl, welchen Finger man benutzt, um auf das Hamburger Icon zu tippen. Sogar die Hand, mit der das mobile Gerät gehalten wird, kann je nach Position der Buttons durch die UI festgelegt werden, genauso wie die Entscheidung, ob eine UI ein- oder zweihändig bedient werden muss. Actionbars und Hamburger Menüs zwingen bei aktuellen Displaygrößen zur Zweihandbedienung. Hier bricht Microsoft mit Windows 10 und dem Hamburger Menü ja auch mit dem eigenen alternativen Bedienkonzept zugunsten einer »bewährten« Lösung.
@Arne Konzepte der Tastaturbedienung finde ich auch sehr spannend :) Aber das würde ich jetzt nicht direkt vergleichen wollen, denn die Tastaturbedienung muss wirklich über einen längeren Zeitraum erlernt werden, während eine gute UI idealerweise ohne jegliche Vorkenntnisse intuitiv funktionieren soll. Es ist z.B. intuitiv ein Fenster an den rechten Rand zu ziehen, um es dort anzudocken. Ein Hamburger Icon ist für sich überhaupt nicht intuitiv, gerade über unterschiedliche Kulturkreise hinweg (irgendwo habe ich dazu mal eine Studie gelesen, die herausfand, dass die Interaktionsrate anstieg, sobald man dem Hamburger noch ein Label »Menu« hinzufügte).
Sklerose ist ein gutes Stichwort. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass die Schritte bald wieder radikal größer werden könnten. Sprich: Abschaffung der Tastatur, dafür Spracheingabe, dreidimensionale Gestensteuerung im Raum, unsichtbare Integration von Apps in den Alltag, Wearables, usw.