Acht Stunden auf der Autobahn lassen einem genügend Zeit über viele sinnige oder unsinnige Dinge des Lebens nachzudenken, wie zum Beispiel Autobahnwerbung. Nun, ich finde Autobahnwerbung ist die Königsklasse der Plakatwerbung, denn hier muss die Botschaft knallhart kalkuliert und innerhalb minimaler Zeit an den Mann/die Frau gebracht werden. Fährt man auf der Autobahn vernünftige 130 km/h Richtgeschwindigkeit, bleiben einem vielleicht maximal zwei bis drei Sekunden für die Erfassung eines Plakates.
Eine noch größere Herausforderung sind Kampagnen gegen zu schnelles Fahren, die Anti-Raser-Kampagnen. Denn blöderweise hat die Zielgruppe in diesem Fall wegen eben der hohen Geschwindigkeit die geringste Aufmerksamkeitsspanne, welche sich hier unterhalb einer Sekunde bewegen dürfte.
Man stelle sich folgenden Auftrag vor:
Erstellen Sie ein Plakatdesign, welches einen Raser innerhalb von maximal einer Sekunde dazu bringen soll, Fehler und mögliche Auswirkungen durch das Rasen zu erkennen, diese auf sich zu beziehen, Schuld und Einsicht zu empfinden und sein Verhalten nachhaltig zu beeinflussen.
Nahezu ein Ding der Unmöglichkeit. Im Folgenden möchte ich mir dazu verschiedene Ansätze anschauen.
Unterscheiden muss man zuallererst zwischen regionalen Aktionen und bundesweiten Kampagnen, meist unter Beteiligung des Deutschen Verkehrssicherheitsrates und des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
Regionale Aktionen beschränken sich oft auf Brückenbanner und sind nicht sehr effizient angelegt: Viel Text in unterschiedlichen und schlecht lesbaren Schriften unterlegt mit Bildern oder abstrakten Grafiken sind keine Seltenheit. Hier scheitert die Aktion gerne schlicht an der zu komplexen Darstellung: Die Botschaft kann einfach nicht schnell genug gelesen werden. Ein Beispiel befindet sich auf der A2 in der Nähe von Rinteln in Richtung Hannover, leider habe ich dazu kein Foto gefunden.
Schauen wir uns nun mal die Plakate der DVR Kampagnen der letzten Jahre an:
Prävention durch Abschreckung
Wie bei Anti-Raucher-Kampagnen auch, ist die Abschreckung ein weit verbreitetes Mittel zur Bekämpfung der Raserei. Hier ein paar Beispiele der »Runter vom Gas«-Kampagnen des DVR aus den Jahren 2008 bis 2010:
Diese Plakate sind alle handwerklich recht gut gemacht und haben eine gemeinsame Botschaft: Schnell fahren bedeutet Tod (oder Krankenhaus). Aber dass diese altbackene Botschaft auch heutzutage noch ihre Wirkung stark entfalten kann, möchte ich doch bezweifeln. Sieht ein Autofahrer ein Plakat mit einem schwarzen Kreuz oder Unfallbildern, wird er vermutlich schon wissen, worum es geht und die Botschaft ignorieren. Ein Hingucker sollte stattdessen innovativ sein und Problematiken bestenfalls von anderen, neuen Seiten angehen.
Autobahnplakate 2007 – Hast du die Größe?
Gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil von acht Prozent stellen die 18- bis 24-Jährigen 17 Prozent der Unfallbeteiligten und sogar 20 Prozent der im Straßenverkehr Getöteten.
Die Kampagne des DVR aus dem Jahr 2007 legt Jugendliche als Zielgruppe fest. Gezeigt wird ein großes Bild eines bei Jugendlichen beliebten Prominenten, wie Lena Gercke, Collien Fernandes oder Philipp Lahm, sowie ein aus vier Wörtern bestehender Spruch.
Die Person ist vor dem weißen Hintergrund gut zu erkennen, wie auch die fette Schrift, eine Erfassung des Inhalts sollte also innerhalb kurzer Zeit möglich sein. Problematisch wäre hier höchstens die Leserichtung von links nach rechts: Erst wird das Bild erfasst, welches ohne Botschaft wenig Sinn ergibt, daraufhin der Schriftzug. Um nun einen Kontext herstellen zu können, muss der Betrachter sich erneut das Bild anschauen, ein unnötiger Umweg.
Abgesehen davon finde ich die Kampagne sehr gelungen, denn sie spricht die Zielgruppe auf einer persönlicheren Ebene an, als die oben aufgeführten. Hier spielt der Unfalltod keine plakative Rolle, es geht hauptsächlich um gesellschaftliche Akzeptanz, vermeintliche Akzeptanz der Vorbilder, Verantwortung und Ehre. Vielleicht Faktoren, die den Betrachter eher zum Nachdenken anregen.
Positiv-Werbung – Risiko raus!
Einen ebenfalls interessanten Weg geht die »Risiko raus!«-Kampagne aus dem Jahr 2011:
Bei dieser Kampagne liegt die Familie im Vordergrund. Die schreckliche Botschaft wird in Zeichnungen von unschuldigen Kindern verpackt. Anstatt die Folgen für die direkten Beteiligten aufzuzeigen, werden hier die mittelfristigen Auswirkungen auf das Umfeld, nämlich das der Kinder, thematisiert. Auf den ersten Blick süß und vielleicht sogar lustig anzuschauen, wird dem Betrachter erst im Nachhinein klar, worum es wirklich geht. Im Gegensatz zu plakativen Unfallbildern werden hier Gedanken angestoßen. Dieser Gedankengang vom Positiven zum Negativen ist wie ich finde sehr wichtig für die eigene Reflektion und somit für die Akzeptanz und vielleicht sogar das Einsehen des Betrachters.
Von der Botschaft her sehr gut umgesetzt, ist die gestalterische Umsetzung allerdings noch nicht perfekt: Es sind einfach zu viele Bildinformationen vorhanden, die der Autofahrer innerhalb kurzer Zeit zu verarbeiten hat: Die drei hakeligen Schriftzüge müssen entziffert und somit die Figuren als Familie erkannt werden, in diesem Beispiel das Auto am Baum als Unfall und die Wolke als Symbol für den Tod. Dazu kommt der Slogan, wobei die Botschaft auch ohne ihn funktionieren sollte. Insgesamt ein ziemlich komplexes Plakat.
Positiv-Werbung – Runter vom Gas
Die eigentlichen Auslöser für diesen Artikel waren aber folgende Plakate, ebenfalls aus der »Runter vom Gas«-Kampagne, die ich erstmals auf meiner letzten besagten Autobahnfahrt gesehen habe:
In diesen Plakaten sind alle Anforderungen wie ich finde perfekt umgesetzt:
Einerseits ist das Bild klar strukturiert: Der dominierende Text ist groß und gut lesbar vor hellem Hintergrund. Der Rahmen deutet einen Kontext an. Einen Slogan gibt es nicht, denn die Botschaft ist gleichzeitig der Slogan. Auf die Vermittlung der Botschaft wird deutlich eine Priorität gesetzt, die gesamte Aufmachung ist fokussiert und reduziert. Nachdem nun zuerst die drei bis vier Wörter erfasst wurden, erschließt sich durch die ebenfalls deutlich reduzierte Rahmenhandlung der Kontext.
Formal schon perfekt umgesetzt, ist auch die inhaltliche Herangehensweise sehr sympathisch. Anstatt belehrend, drohend, abzuschreckend oder beleidigend wirken zu wollen, stehen hier Attribute wie Zuneigung und Liebe im Vordergrund. Ein sehr nahestehender oder geliebter Mensch hat schließlich den größte Einfluss auf einen selbst. Dagegen fällt es leicht Dritte, wie die oben gezeigten unbekannten Gesichter, Promis oder Behörden, mit ihrer Meinung zu ignorieren.
Es wird mit positiven Erinnerungen aus dem liebsten und engsten Umkreis gearbeitet. Das wird wiederum durch die Reduktion möglich, denn sie lässt viel Raum für persönliche Assoziationen. Der angebotene Kontext, nämlich das Badezimmer, das Auto und der Küchentisch, dürfte jedem bekannt sein und entweder an eine besondere vergangene Situation erinnern oder vielleicht auch Sehnsüchte wecken. Die Reduktion hat somit gleich zwei Vorteile: bessere Erfassbarkeit und mehr Raum für Interpretationen.
Für mich ist diese Kampagne die bisher am besten durchdachte und am effektivsten umgesetzte. Neben statischen Plakatflächen werden diese Motive auch an fahrenden LKWs gezeigt und dürften somit noch mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Ich bin jedenfalls gespannt, welcher Trend sich in den nächsten Jahren entwickelt, denn – wie das so ist in der Werbebranche – es muss stets was neues her.
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