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Themen und Projekte aus der Medienwelt

Ich bin Sophie Scholl – ein wunderbares Leuchtturm-Projekt auf Instagram

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Illustration von Luna Wedler als Sophie Scholl. Bild: © SWR/Edith Carron

Am 9. Mai 2021 wäre Sophie Scholl 100 Jahre alt geworden. Dieses Datum haben sich der SWR und BR damals zum Anlass genommen, die letzten Monate ihres Lebens neu zu erzählen. Und zwar in einem modernen Format, auf Instagram. In Echtzeit. Ich bin seit etwa Mitte letzten Jahres dabei und verfolge seitdem gespannt, wie Sophie Scholl ihren Weg findet und Teil der Weißen Rose wird. Wer ein bisschen mitgerechnet hat, wird es schon ahnen: Es bleiben ihnen nur noch knapp 6 Wochen. Für mich noch mal ein Anlass, auf dieses tolle Projekt hinzuweisen.

Worum geht’s bei @ichbinsophiescholl?

Unter dem Account @ichbinsophiescholl zeigt die Schauspielerin Luna Wedler als Sophie Scholl täglich Posts und Stories, so als wäre sie eine Influencerin aus der heutigen Zeit, nur eben in einer Kulisse der 40er Jahre. Sie teilt uns ihre Gedanken mit, ihre Zerrissenheit, Zweifel, Wut, aber auch Hoffnung, Liebe, Mut und ihren Weg in den Widerstand. Die Szenen wechseln immer wieder: Mal ist sie im unfreiwilligen Dienst in der Munitionsfabrik, im Sommerausflug am See mit ihrem Bruder Hans, in der Wohnung ihrer Familie, in der Uni, im Atelier, auf der Straße… Mal fährt sie quer durch Deutschland, um Kontakte zu treffen, mal spielt sie zusammen mit ihrer Schwester vor den Gefängnistoren ihrem inhaftierten Vater ein Lied auf der Blockflöte. Und immer wieder muss sie an ihren Freund an der Front denken, mit dem sie versucht, über Briefe Kontakt zu halten.

Hans Scholl (Max Hubacher), Sophie Scholl (Luna Wedler) und Alexander Schmorell (David Hugo Schmitz) im Atelier. Foto: © SWR/Rebecca Rütten/Sommerhaus Film

Ein gigantischer Produktionsaufwand

Hier lässt sich schon erahnen, wie wahnsinnig aufwändig diese Produktion sein muss. Drehorte, Requisiten, Schauspieler:innen und Kostüme müssen passen. Gelegentlich wird mit Visual Effects nachgeholfen, wenn z. B. Kampfflugzeuge am Himmel zu sehen sind. Und wir reden hier nicht über einen Spielfilm mit einer Länge von zwei Stunden. Wenn wir grob geschätzt von täglichen Posts mit einer Länge von 3 Minuten ausgehen, sind wir am Ende bei 15 Stunden, die produziert werden müssen. Das sind mehr als bei so mancher Serie! Und dazu kommen noch jede Menge Fotos.

Das sind einige Herausforderungen und ich weiß nicht, wie groß das Team ist, jedenfalls kann ich schon mal sagen, dass der SWR und BR eine beeindruckende Arbeit geleistet haben. Dabei orientieren sie sich möglichst nahe an den historischen Begebenheiten, allerdings gibt es auch hier und da neue Interpretationen. Zu wörtlich sollten die Inhalte also nicht genommen werden, aber darum geht es meiner Meinung nach auch gar nicht vordergründig.

Regisseurin Suli Kurban und Sophie Scholl (Luna Wedler) am Set. Foto: © SWR/BR/Sommerhaus/Rebecca Rütten

»Geschichte hautnah erleben« via Social Media

Vielmehr ist es eine spannende Reise in die deutsche Vergangenheit, die ein viel komplexeres und emotional näheres Bild vermitteln kann als das eine oder andere Buch. Die Posts sind voller Details, teilweise gut versteckt, die in kompakten Lehrbüchern keine Rolle spielen, die aber für den Verlauf der Geschichte sehr wichtig sind. Ein paar Beispiele: Die Weiße Rose hat immer wieder Probleme mit der Produktion der Flugblätter. Briefmarken und Papier müssen besorgt werden, für den Druck braucht es einen Vervielfältiger – alles Dinge, die es nicht einfach so zu kaufen gibt, deren Beschaffung lebensgefährlich ist und deswegen sorgfältig über Tage geplant werden muss. Überhaupt ist die Ressourcenknappheit allgegenwärtig, auf dem Markt gibt es an manchen Tagen nur Grünkohl. Dazu kommen spionierende Nachbarn und die Härte des Regimes. Aber es gibt auch Anspielungen auf aktuelle Debatten, z. B. Sexismus, Feminismus, Glaube. Die Bilder fühlen sich einerseits gewohnt und nah an, durch die Art der (Selbst-)Darstellung in Echtzeit, durch sympathische Menschen und alltägliche Probleme. Und gleichzeitig ist es aus offensichtlichen Gründen sehr fremd.

Social Media lebt von Interaktionen

Aber das ist noch nicht alles: Zu einem guten Social Media Kanal gehört natürlich auch Interaktion mit den aktuell 762.000 Followern. Und da wird sich unglaublich viel Mühe gegeben. In den Stories gibt es regelmäßig Fragen oder Abstimmungen. In den Kommentaren der Posts beantwortet das Team von @ichbinsophiescholl Fragen, sowohl historische als auch szenische. Gerne wird dort z. B. erklärt, welche Teile der gezeigten Szene historisch korrekt sind und welche nicht. Aber auch auf Hintergründe zu den aktuellen Gedanken der Sophie Scholl wird eingegangen – und zwar unglaublich schnell: Im Juni 2021 wurde in einer Story ein Spiel gezeigt, welches Hans und Alex am See mit den Händen und Fingern spielten. Ich schrieb also einfach mal eine Nachricht an den Account und fragte, wie das Spiel heißt und wie die Regeln sind. Um 23:20 Uhr. Die Antwort kam innerhalb weniger Minuten.

Es bleibt nicht mehr viel Zeit

Am 22. Februar 1943 wurden Sophie Scholl im Alter von 21 Jahren, ihr Bruder Hans Scholl mit 24 Jahren und Christoph Probst mit 23 Jahren hingerichtet. Auch wenn es Pläne gibt, den Instagram-Kanal danach in anderer Form weiterzuführen, kann ich euch nur dazu einladen, jetzt noch die letzten Wochen von Sophie Scholl mitzuerleben. Falls ihr keinen Instagram-Account habt, wäre dies definitiv ein Anlass, sich einen zuzulegen.

Ich habe bisher noch kein so intensives und aufwändig inszeniertes Projekt auf einem Social-Media-Kanal erleben dürfen. Für mich ist @ichbinsophiescholl ein wunderbares Positiv-Beispiel auf Instagram, das man kennen sollte.


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